16. "Leben live"-Gottesdienst, 12. März 2005
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Der Predigttext ist mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus:
Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984.
© 1985 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck des revidierten Textes der Lutherbibel sowie jede andere Verwertung in elektronischer oder gedruckter Form oder jedem anderen Medium bedarf der Genehmigung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Themenpredigt: "Dietrich Bonhoeffer - konsequent leben …"


Es gilt das gesprochene Wort!


Wir haben nun einiges über Bonhoeffer gehört. Aber wer war eigentlich Dietrich Bonhoeffer? War er einfach nur ein politischer Widerstandskämpfer im Naziregime des sog. "Dritten Reiches"? Was war die Triebfeder, was war das Motiv für seinen Kampf gegen die Unrechtsherrschaft? Warum war es ihm so wichtig, dass die Kirche sich nicht gleichschalten lässt?

Um diese Fragen richtig beantworten zu können, müssen wir nach dem geistlichen Geheimnis Dietrich Bonhoeffers fragen, nach seiner Quelle. Was war die Mitte seines Lebens als Christ? Mit welchem Begriff beschrieb er das Leben im Glauben?

Die Antwort auf diese Frage ist schnell gefunden. Sie lautet: "Nachfolge". "Nachfolge" war das Schlüsselwort für Bonhoeffers Leben und Glauben. Gemeint ist damit natürlich die Nachfolge Jesu Christi.

Der Begriff "Nachfolge" ist unentbehrlich, wenn es darum geht zu sagen, was eigentlich das Christsein ausmacht. Wir verwenden dafür gewöhnlich das Wort "glauben". Aber abgesehen davon, dass dieses Wort regelmäßig missverstanden wird, als ginge es beim Christsein um eine reine "Kopfsache" - aber selbst wenn wir ernst nehmen, dass es beim biblischen Wort "glauben" um "vertrauen" geht, um eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, dann ist mit diesem Wort "glauben" ein Aspekt des Christseins noch immer nicht angesprochen, den das Wort "Nachfolge" mit allem Nachdruck betont.

Eine Beziehung von Menschen kann ja ganz unterschiedlich gestaltet werden. So wird eine Beziehung von Mann und Frau in der Ehe sicher eine ganz andere sein als die von Vorgesetztem und Angestellten, von Lehrer und Schüler. Genau hier setzt das Wort "Nachfolge" an und stellt klar: Es geht beim Christsein nicht um ein kumpelhaftes Miteinander von Jesus und mir, Jesus und der Glaubende sind auch nicht auf einer Ebene. Es ist vielmehr ganz klar, dass Jesus der Meister ist, der Herr, und die, die an ihn glauben, sind ihm untergeordnet. Das klingt für manche moderne Ohren schier unerträglich. "Ich - mich unterordnen …?" Eines der wichtigsten Worte unserer Zeit ist doch das von der Gleichberechtigung. Aber dieses Wort gilt in der Beziehung des Glaubens zu Jesus nicht! Jesus sagt unmissverständlich: "Einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder" (Matthäus 23,8). Und: "Der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn" (Matthäus 10,24). "Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein" (Johannes 12,26).

Bonhoeffer hat diesen Zug des Evangeliums, dieses Grundmerkmal des Christseins, erkannt und wieder neu zur Geltung gebracht. Bonhoeffer war zweifellos nicht der erste, der das Thema "Nachfolge" als wesentlich und grundlegend für die Christenheit betrachtet hat. Vor ihm war es vor allem Thomas von Kempen (1379-1471) der mit seiner "Nachfolge Christi" das am meisten verbreitete christliche Andachtsbuch aller Zeiten verfasst hat.

In dieser Linie hat auch Dietrich Bonhoeffer ein Buch über die "Nachfolge" geschrieben; es ist im wesentlichen eine Zusammenstellung von Vorlesungen, die er für seine Theologiestudenten gehalten hat. Man wird Dietrich Bonhoeffer und sein Anliegen niemals verstehen können, wenn man nicht dieses Buch von der Nachfolge gelesen hat. Im Begriff der Nachfolge und besonders in diesem Buch "Nachfolge", das im Jahr 1937 erschienen ist, liegt das geistliche Geheimnis des Dietrich Bonhoeffer.

"Nachfolgen", das heißt auf lateinisch "consequi", als Hauptwort "consequentia". Ihr kennt dieses Wort, nämlich als Fremdwort "Konsequenz"; das bedeutet "Folgerichtigkeit", "Zielstrebigkeit", "Beharrlichkeit" oder auch "Folge", "Auswirkung", "Nachwirkung". Und das Eigenschaftswort "konsequent", das ja auch im Thema unseres heutigen "Leben live"-Gottesdienstes vorkommt, bedeutet laut DUDEN: "folgerichtig", "logisch zwingend", "unbeirrbar", "fest entschlossen", "beharrlich". Dass Dietrich Bonhoeffer "konsequent" gelebt hat, bis zum bitteren Ende, bis zu seiner Hinrichtung am 9. April 1945 in Flossenbürg, das ist offensichtlich. Er lebte aber nicht nur im herkömmlichen Sinn "konsequent", sondern auch sozusagen "Christus konsequent", und das heißt: in der Nachfolge Jesu Christi. Diese Beziehung zu Jesus Christus als seinem Herrn gab ihm die Kraft, durchzuhalten.

Nun möchte ich nicht den Anspruch erheben, in dieser Predigt dieses rund 300 Seiten starke Buch "Nachfolge" auch nur annähernd erschöpfend vorstellen oder darstellen zu können oder auch nur zu wollen. Ich möchte dennoch versuchen, ein paar wenige Grundlinien dieses Buches hier aufzuzeigen. Ich beschränke mich dabei aber ganz auf die ersten Kapitel des ersten Hauptteils, in denen es darum geht, was Nachfolge Jesu für den einzelnen bedeutet.

Bonhoeffer beginnt mit einem Kapitel über "Die teure Gnade". Es steht nicht zufällig am Anfang des Buches. Es ist vielmehr der Schlüssel zum Verständnis alles weiteren. Weil es so wichtig ist, hören wir zunächst ein paar längere Abschnitte daraus im Original. Aber ich muss euch vorwarnen. Es ist keine leichte Kost und auch nicht ganz leicht verständlich …

"Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. ...
Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, Gnade ohne Kosten. ...
Billige Gnade heißt ... Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit ... Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht.
Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes ...
Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben. Es lebe also auch der Christ wie die Welt, er stelle sich der Welt in allen Dingen gleich und unterfange sich ja nicht ... unter der Gnade ein anderes Leben zu führen als unter der Sünde!
Also, der Christ folge nicht nach, aber er tröste sich der Gnade! ...
Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus ...
Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle seine Güter hingibt ...
Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss.
Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft;
teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt;
teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt.
Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat ... und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist ..."

Nach diesem Einleitungskapitel redet Bonhoeffer vom "Ruf in die Nachfolge". Wenn Jesus ruft, dann gibt es kein Nachfragen, keine langen Überlegungen. Nein, dann lassen die Gerufenen alles stehen und liegen und folgen Jesus nach. Nachfolge geschieht, weil Jesus ruft. Wo aber Jesus ruft, da ist Gehorsam gefragt:

"Nur der Gehorsame glaubt. Es muss Gehorsam geleistet werden gegen einen konkreten Befehl, damit geglaubt werden kann. Es muss ein erster Schritt des Gehorsams gegangen werden, damit Glaube nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde. Es liegt an dem ersten Schritt. ...
Es ist ... der Schritt zur Kirche, in der das Wort des Heils gepredigt wird. ... Komm zur Kirche! das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit. Du kannst am Sonntag dein Haus verlassen und zur Predigt gehen. Tust du es nicht, so schließt du dich willkürlich von dem Ort aus, an dem geglaubt werden kann."

Wenn Bonhoeffer vom "einfältigen Gehorsam" spricht, so meint er damit, dass wir zu Jesus jenes Vertrauen haben sollen, das jedes Hinterfragen seiner Ziele, Pläne und Absichten ausschließt. Wir haben einen Herrn, der nur das Beste für uns will.

Nachfolge führt oft ins Leiden. "Die Nachfolge und das Kreuz" ist das nächste Kapitel überschrieben. Jesus sagt einmal: "Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten" (Markus 8,34+35). Vielleicht waren es diese Worte, die Bonhoeffer bereit gemacht haben, für seinen Glauben, für die Nachfolge seines Herrn Jesus Christus alles auf sich zu nehmen, auch die Verfolgung und das Leiden. In einem wohltemperierten Christentum, das man mit gutem Recht besser als "lau" bezeichnen sollte, schmeckt dieses Wort überhaupt nicht. Und trotzdem - daran lässt Jesus keinen Zweifel -: Zur Nachfolge gehört in letzter Konsequenz auch das Leiden.

Im weiteren bringt Bonhoeffer eine Auslegung der Bergpredigt Jesu, die wir in den Kapiteln 5 bis 7 des Matthäusevangeliums finden. Und in einem zweiten Hauptteil seines Buches widmet sich Bonhoeffer der Frage, welche Bedeutung die "Nachfolge" nicht nur für den einzelnen Christen, sondern für die Kirche als Gemeinschaft der Nachfolger Jesu hat. In diesem Teil finden sich Ausführungen über die Taufe, über den Leib Christi, über die sichtbare Gemeinde, über die Heiligen und über das Bild Christi. Doch diese Kapitel möchte ich aus Zeitgründen unberücksichtigt lassen.

Von Bonhoeffer können wir lernen, dass Christsein konkrete Nachfolge Jesu Christi ist. Es geht beim christlichen Glauben nicht um Gedankenspiele, sondern es geht darum, dass wir nach dem, was Jesus will, fragen und dann auch das tun, was Jesus sagt, auch wenn es unbequem für uns ist, auch wenn es uns Nachteile bringt und womöglich ins Leiden führt. Nachfolge, das heißt in der Spur Jesu gehen und bleiben. "Konsequent leben", das darf nicht nur etwas sein, was einen Dietrich Bonhoeffer auszeichnet. Nein, jeder der sich Christ nennt, muss auch konsequent leben, nämlich Jesus als seinem Herrn und Retter nachfolgen. Denn Christsein ist Nachfolge Jesu.

Amen.

Die Kirchengemeinde Eysölden wünscht einen gesegneten Sonntag!